Platon verwendet in seinen Dialogen narrative Elemente in erheblichem Umfang: Wir finden Erzählungen, Reden, Mythen, Gleichnisse, Gedankenexperimente, historische und zeitgeschichtliche Darlegungen und vieles mehr. Hinzu kommt, dass er den Dialogkontext oft erzählerisch ausmalt und den Dialogverlauf dramatisch gestaltet. Warum tut Platon dies? Verwendet er Narratives nur als darstellerisches Mittel? Dient das Narrative einfach der Breitenwirkung platonischer Gedanken – indem es ihnen Attraktivität und Überzeugungskraft (peithô) verleiht? Oder kommt ihm überdies ein Eigenwert zu? Glaubt Platon, dass nur kleinschrittige Argumentationsfolgen und begriffliche Analysen einen philosophischen Wert haben, oder hält er vielleicht eine transrationale Bildlichkeit des Narrativen für fruchtbar? Was bedeuten dies teils komplexen Einleitungs- und Rahmenpartien, wie etwa die verschachtelte Erzählung des Symposion oder der merkwürdige Auftakt der Politeia? Wie sind Platons Mythen zu verstehen, z.B. der Unterweltsmythos im Phaidon, der Seelenmythos im Phaidros, der Er-Mythos in Politeia X, oder der Weltalter-Mythos des Politikos? Welchen Sinn hat die Schriftkritik im Phaidros? Wir wollen in unserem diesjährigen Kolloquium vertieft der Frage nachgehen, wie sich das Narrative zu den ontologischen, epistemologischen, sprachphilosophischen, moraltheoretischen und politischen Elementen seiner Philosophie verhält.
Im Rahmen der Sommerschule besteht für alle Teilnehmer die Möglichkeit, einen Vortrag zu halten. Auch die Vorstellung von eigenen Projekten aus dem Bereich der Antiken Philosophie ist willkommen.
Platon entwickelt seine Ideentheorie bekanntlich in den ‚mittleren’ Dialogen: also im Phaidon, Phaidros, Politeia, Parmenides und Kratylos. Aber es kann kaum zweifelhaft sein, dass wir sie auch im späten Timaios finden. Wie aber steht es etwa um den Politikos, den Philebos und die Nomoi? Wie verhalten sich die frühen Schriften zur Ideentheorie? Wir wollen in unserem diesjährigen Kolloquium nochmals vertieft der Frage nachgehen, in welchen ontologischen, epistemologischen und sprachphilosophischen Zusammenhängen Elemente oder zumindest Spuren der Ideentheorie bei Platon auftauchen. Dabei geht es auch um die bekannten Problemfragen wie: Wovon gibt es nach Platon Ideen? Nur von natürlichen Arten (Pferden, Bäumen, Steinen)? Oder auch von Artefakten? Fiktionalen Entitäten, Negationen, Relationen, Attributen, werthaft minderen Entitäten (“Haaren, Lehm, Schmutz”)? Von welchen Eigenschaften? Wie verhält sich die durch die Ideentheorie in Aussicht genommene vertikale Kausalität (top down) zur horizontalen Kausalität unserer Alltagserfahrung? Droht der Ideentheorie nach Platon tatsächlich ein infiniter Regress gemäß dem tritos anthrôpos-Argument? Was ist das, was in der Partizipationsbeziehung vom Partizipierten auf das Partizipierende übertragen wird? In welchem Medium findet die Übertragung statt? Wie verhält sich die Konzeption der anamnêsis zur Ideentheorie?
Jede(r) Teilnehmer(in) sollte ein Referat zu einem Dialog übernehmen; im Fall der Politeia sind vier Referate zu vergeben: zu Buch V, VI, VII und X. Außer Referaten zum Kolloquiumsthema können wie immer auch Projektvorstellungen gehalten werden.
Spuren der Ideentheorie in der Apologie und den Frühdialogen?
Apologie, Kriton (Prozessschriften), Ion, Protagoras, Hippias Minor, Hippias Maior, Euthydemos, Gorgias (Sophistendialoge), Laches, Charmides, Euthyphron, Lysis, Alkibiades I (moralphilosophische Definitionsdialoge)
Ideen und ihre Funktion in den mittleren Dialogen
Kratylos, Menexenos, Menon (Übergangsdialoge), Phaidon, Symposion, Politeia, Phaidros, Parmenides (Ideendialoge)
Ideentheorie in den Spätschriften?
Theaitetos, Sophistes, Politikos, Philebos, Timaios, Kritias, Nomoi
Ideentheorie im VII. Brief?